03.07.2024
2022_09_08_Goldbach_Mario_Neumann_29029_2.jpg

CTV vereint die Vorzüge von klassischem TV und Online Video

Was sind die Hauptfaktoren für das starke Wachstum von CTV im Werbebereich? Mario Neumann, Director Business Development beim Vermarkter Goldbach Germany, kennt die Antworten. Ein Interview in der W&V.

Zum einen nutzen immer mehr Zuschauer digitale Empfangswege. Das zwingt Unternehmen dazu, ihre Werbestrategien anzupassen. Neue Anbieter wie Waipu und Zattoo tragen ebenfalls zur Reichweitensteigerung bei - insbesondere bei jüngeren Zielgruppen.

Ein weiterer Treiber ist die Fragmentierung des Marktes. Neben klassischen Broadcastern gewinnen Plattformen wie Samsung TV plus und LG an Bedeutung. Diese neuen Player bieten nicht nur Inhalte an, sondern haben auch eigene Vertriebsstrukturen für die Zusammenarbeit mit Agenturen und Kunden aufgebaut. Das macht den Markt aber noch komplexer. Was das für Marketer bedeutet und wie mehr Transparenz geschaffen werden soll, erklärt Mario Neumann im Interview.

Herr Neumann, kaum einer Mediengattung wird derzeit so ein starkes Wachstum im Werbebereich vorhergesagt wie Connected TV. Was sind die Hauptfaktoren für diese Prognose?

Wir sehen seit längerem eine signifikante Veränderung in der Art, wie Medien, insbesondere TV-Inhalte, genutzt werden. Dieses veränderte Mediennutzungsverhalten hat dazu geführt, dass Anbieter von Inhalten dorthin gehen, wo die Zuschauer ihre Zeit verbringen.

Das ist mit Sicherheit einer der Haupttreiber der Veränderung von traditionellen Empfangswegen wie Kabel oder Satellit zu digitalen Empfangswegen wie Connected TV. Auf diesen müssen auch Unternehmen reagieren und ihre Werbestrategien anpassen.

Und ständig kommen neue Kanäle dazu.

Das stimmt. Vor fünf Jahren kannten nur wenige Menschen Anbieter wie Waipu oder Zattoo. Heute haben diese neben den klassischen Empfangswegen und Broadcastern ihren Platz in der Medienwelt gefunden. Mit immer neuen Inhalten.

In der Werbevermarktung gibt es einen bekannten Spruch: Money follows reach. Seit etwa zwei Jahren bemerken wir dort eine extreme Reichweitenrelevanz. Gerade im Bereich Kids- und Youth-Culture sowie junge Erwachsene.

Also derjenigen, die auch zu Youtube und Social Media abgewandert sind...

Exakt. Und das ist mit CTV vergleichbar. Es ist digital und findet auf dem TV-Screen statt. Es vereint damit die Vorzüge von klassischem TV und Onlinevideoplattformen wie Youtube und Co.

Ich kann schauen, was ich will, wann ich will, wo ich will. Darauf reagieren Werbungtreibende natürlich – sie kommen gar nicht darum herum, wenn sie diese Zielgruppe vollständig erreichen wollen.

Gilt das auch für die sogenannten „Cord Cutter“, die gar keinen herkömmlichen TV-Anschluss mehr haben?

Bei solchen Haushalten geht es meist nicht mehr nur um inkrementelle, also zusätzliche Reichweite, sondern darum, sie überhaupt zu erreichen. Das haben wir in den beiden letzten Jahren unserer langjährigen Advanced-TV-Studien deutlich beobachtet.

Zugleich ist es für Agenturen und Werbungtreibende aufgrund der technologischen Entwicklung deutlich einfacher geworden, diese Inventare auch programmatisch zu buchen und in ihren Media-Mix aufzunehmen. Da hat die Branche aus dem Thema Online Video viel gelernt.

Am 30. Juni war der Stichtag für das Ende des Nebenkostenprivilegs – Mieter können sich jetzt ihren eigenen bevorzugten Empfangsweg für Bewegtbild auswählen. Wird das CTV einen weiteren Schub geben?

Sagen wir mal so: Es hat das Potenzial. Unsere aktuelle Advanced-TV-Studie zeigt unter anderem, dass die Haushalte immer preissensibler reagieren. Das gilt auch für neue Medien wie CTV.

Wenn ich vor der Herausforderung stehe, das selbst zu bezahlen, dann kann ich natürlich vergleichen. Vielleicht stelle ich dann fest, dass ein digitales Angebot kostengünstiger ist. Oder ich sogar die Möglichkeit habe, die bestehenden digitalen Abos zu bündeln, um dadurch mehr Inhalt für die gleichen oder weniger Kosten zu bekommen.

Allerdings, wenn die Vermieter dies auf eigene Kosten einpreisen, entsteht für den einen oder anderen möglicherweise kein Handlungsbedarf, und der erwartete Schub könnte ausbleiben.

Sie haben die Buchungssituation angesprochen. Da ist zuletzt einiges passiert, auch aufgrund technischer Fortschritte. Ist es inzwischen einfach für Agenturen und Kunden, sich in diesem „CTV-Dschungel“ zu orientieren?

Leider nein. Es wird aber besser. Die Marktteilnehmer, gerade auch von Seiten der Inventaranbieter, sind natürlich sehr daran interessiert, den Markt aufzuklären und zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt und wie man sie nutzen kann.

Trotzdem bleibt es immer noch eine Herausforderung, die Begrifflichkeiten einzuordnen und die medialen Angebote zu verstehen. Nicht nur für Agenturen, sondern vor allem für die Direktkunden, die oft noch weiter entfernt vom technischen Geschehen sind.

Was bedeutet das in der Praxis?

Ein großer Teil im Verkaufsprozess besteht weiter darin, nicht nur zu erklären, wie viele Kontakte zu welchem Preis man mit welchen Targeting-Kriterium bekommen kann, sondern wo und in welcher Nutzungssituation man eigentlich wirbt.

Also: Was ist der Werbeträger? Was ist das Umfeld, was zeichnet CTV aus? Was ist der Unterschied zu klassischem TV? Da gibt es noch viel Aufklärungsarbeit.

Zum Beispiel darüber, dass die Inhalte und die Audience nicht nur im traditionellen Broadcast-Universum stattfinden. Für viele, die an Digital-TV denken, sind das Sender wie RTL & Co und deren Streaming-Apps wie RTL+. Dabei machen die nur einen Bruchteil der Reichweite aus.

Woher kommt der Hauptanteil?

Die große Reichweite entsteht außerhalb der Broadcaster-Apps. Plattformen wie Magenta TV, Zattoo, Waipu TV, Samsung TV plus, LG und viele andere mehr tragen maßgeblich dazu bei.

Der Markt ist also deutlich fragmentierter geworden. Es gibt nicht mehr nur das klassische Duopol und die Broadcastanbieter der ersten, zweiten und dritten Generation.

Jetzt kommen die digitalen Inhalte-Anbieter und Distributionsplattformen dazu. Wir haben Marktteilnehmer, die bisher für das Verkaufen von Fernsehgeräten standen - und plötzlich bieten sie auch Inhalte an.

Diese Unternehmen konkurrieren auch mit den klassischen Anbietern. Läuft das auf einen harten Konkurrenzkampf hinaus – oder eher auf Kooperationen?

Wohl auf beides. Das ist ein sehr globales Thema. Wir haben in Deutschland einige große Content-Aggregatoren, wie zum Beispiel Funke, die mit verschiedenen Distributionsplattformen wie Samsung zusammenarbeiten. Wir haben Streaminganbieter, überregional, paneuropäisch, wir haben die großen digitalen Unternehmen wie Netflix, Hulu und Peacock.

Für alle diese Akteure ist die Digitalisierung des TVs ihre Wachstumsstrategie. Insbesondere für die Broadcaster und die bisherigen lokalen Champions wird es schwer, mit diesen Veränderungen und den technologisch getriebenen  Marktteilnehmern mitzuhalten.

Die Großen müssen ihrerseits mit den Themen, die im lokalen Markt stattfinden, zurechtkommen. Das führt meines Erachtens dazu, dass die Unternehmen der mittleren Riege gezwungen sein werden, sich lokal zusammenzuschließen, um gegen die Googles und Apples dieser Welt zu bestehen.

Samsung ist aktuell besonders rührig – sie haben ihre Aktivitäten rund um die TV-Vermarktung kürzlich in einem eigenen Business-Bereich gebündelt…

Wir pflegen seit langem eine sehr gute und enge Partnerschaft mit Samsung, sind an ihren Entwicklungen also sehr dicht dran. 2016 gab es bei Samsung Electronics noch keine Inhouse-Werbevermarktung .

Heute sind sie in einer eigenen Unit mit Samsung Ads global organisiert. Sie haben in Deutschland mittlerweile eine eigene Vertriebsstruktur für die Zusammenarbeit mit Agenturen und Kunden. Aber man muss darauf achten, dass keine weiteren Walled Gardens entstehen.

Die Mitbewerber reagieren bereits darauf. Ein großes Projekt ist beispielsweise die Ad-Tech-Plattform Utiq, in der sich die Deutsche Telekom, Telefónica/O2, Vodafone und Orange zusammengeschlossen haben. Wie schätzen Sie das Projekt ein?

Das ist ein gutes Zeichen. So etwas wie Utiq braucht es, um gegen die großen globalen Player bestehen zu können und für den lokalen Markt noch eine relevante Position zu sichern. In CTV sehen wir da ja auch schon die ersten Anfänge.

Daten sind auch unverzichtbar für die Wirkungsmessung. In letzter Zeit hat sich einiges getan – gibt es trotzdem noch Lücken, oder kann man schon alles, was wichtig ist, abbilden?

Alles natürlich noch nicht, weil es ein sehr junges Medium ist und alle Marktteilnehmer gerade gemeinsam lernen. Vor zwei Jahren hat der IAB Europe eine Guideline veröffentlicht, die darauf abzielt, die Werbung im Bereich CTV weiter zu standardisieren und zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern interoperabel zu machen.

Das war ein guter, wichtiger Schritt. Aber es hängt auch von der Bereitschaft der Marktteilnehmer ab, das zu adaptieren und umzusetzen.

Und diese Bereitschaft ist nicht vorhanden?

Zumindest nicht flächendeckend. Ein Beispiel: In der erwähnten Guideline des IAB wurden kontextuelle Parameter zwecks Targetings veröffentlicht, mit denen sich die Umfelder der sogenannten Adpods (Werbeblöcke) im CTV identifizieren lassen.

Wir haben diese in unserem System adaptiert, sind auf jeden unserer Publisher zugegangen, um diese Standardisierung innerhalb unserer Portfolios zu gewährleisten. Zum Beispiel Kanalname, Live oder On Demand, Längen, Genre.

Ein Großteil der Publisher hat mitgemacht. Aber es gab auch einige, die gesagt haben: „What's in it for me?“ Kriege ich dadurch mehr Umsatz, oder habe ich einfach nur mehr Aufwand? Oder stelle ich mich da vielleicht sogar schlechter, weil dann mein Inventar nur noch sehr spitz gebucht wird und gar nicht mehr in der Breite? Und so weiter.

Eigentlich nachvollziehbare Aspekte...

Diese Diskussionen sind ja berechtigt. Mit solchen Maßnahmen zur Standardisierung will man letztlich mehr Komfort und Vertrauen in Richtung Werbekunden und Agenturen schaffen.

Dass das an verschiedenen Stellen unterschiedlich schnell geht, ist auch klar. Eigentlich sind wir da schon sehr weit, auch dadurch, dass wir auf Online Video-Metriken und auf Programmatic Advertising zurückgreifen konnten.

Was fehlt noch?

Wir haben schon sehr viel und sind dadurch in der Lage, CTV als ernsthaftes Medium im Mediamix mit anbieten zu können. Aber um es wirklich stärker skalieren zu lassen und einen relevanten Teil auch budgetseitig im Media-Mix einzunehmen, bedarf es noch mehr.

Mehr Wirkungsstudien: Was ist der Vorteil von CTV? Warum ergänzt CTV sehr gut? Wie profitiert CTV von TV und umgekehrt? All das natürlich im Dreiklang mit Onlinevideo. Wie identifiziere ich die Zielgruppen, und wie mache ich sie planbar, optimierbar? Das sind Themen, die die Marktteilnehmer übergreifend noch nicht standardisiert haben.

Wann wird es so weit sein?

Es gibt schon gute Versuche. Wir arbeiten mit verschiedenen Anbietern zusammen. Zum Beispiel mit XAD Spoteffects, die die Performance von Werbespots im klassischen TV und von Video Ads im Advanced TV erfassen, messen und analysieren. Das ist ein Anbieter, der den Werbungtreibenden mehr an die Hand geben will als nur Ad Impressions und View through rates.

Wir kooperieren außerdem mit Samba TV, deren Technologie auf TV-Geräten installiert ist, und somit  in der Lage sind, das Nutzungsverhalten von Smart-TV-Zuschauern zu messen und zu analysieren.

Und wir haben einige spezielle Anbieter im Bereich Business Analyse und Business Intelligence. Darüber hinaus arbeiten wir mit den wichtigsten Institutionen zusammen, IAB, Vaunet und AGF. Wir strecken die Fühler in jede Richtung aus.

Um so endlich wahre Crossmedialität zu erreichen?

Genau. Wir sind auf Bewegtbild spezialisiert, und das in vier Mediengattungen. Insofern sind wir Crossmedia und leben das auch. Wir müssen darauf achten, dass wir das nicht nur als „gallisches Dorf“ in Deutschland machen, sondern zu allen Marktteilnehmern eine Brücke bauen.

Der Artikel ist auch hier in der W&V zu finden.