Beim Mediennutzungsverhalten gilt: Nicht von sich auf andere schliessen
Was denken Sie, haben Personen aus der Marketing- und Medienbranche, sogenannte Ad People (zu denen auch der Verfasser dieses Beitrags gehört), ein anderes Mediennutzungsverhalten als der Rest der Schweizer Bevölkerung? Falls ja, schätzen die Ad People deshalb gar das allgemeine Nutzungsverhalten falsch ein? Wir wollten das genau wissen und haben zusammen mit der IGEM und in Kooperation mit der WEMF die Studie "Media Bias" zur Mediennutzung der Ad People und deren Einschätzung des allgemeinen Mediennutzungsverhalten durchgeführt (Studie zum Download unten im Beitrag).
Bevor wir aber auf die Studienresultate eingehen, würden wir hier gerne Ihre Schätzgenauigkeit zur allgemeinen Mediennutzung testen. Beantworten Sie dazu die Frage zuerst für sich selbst und klicken Sie dann auf das jeweilige Video:
Wie viel Prozent der Leute nutzen Facebook, LinkedIn oder TikTok?
Was schauen die Leute eher: lineares oder zeitversetztes TV?
Klassisches Radio oder Spotify, was hören die Leute eher?
Und? Richtig geschätzt? Dann herzliche Gratulation! Falls nicht, machen Sie sich nichts daraus, Sie sind nicht alleine. In der Umfrage zur Studie lagen die Ad People mit ihrer Schätzung im Schnitt um 10 Prozentpunkte daneben. Was im ersten Moment nach gar nicht so viel klingt, kann auf das einzelne Medium eine ganze Menge ausmachen. Das sieht Siri Fischer, Geschäftsführerin der IGEM, genauso:
Siri Fischer, Geschäftsführerin IGEMZwar haben wir mit einer Abweichung bei der Einschätzung und Nutzung der Profis gerechnet, dass sie bei einzelnen Mediengattungen allerdings so gross ist, hat uns doch überrascht.
Schauen Sie sich beispielsweise die Unterschiede im Printbereich an (Grafik 1). Ad People nutzen Print nicht nur deutlich weniger, sie unterschätzen die Nutzung bei der Bevölkerung um ganze 39 Prozentpunkte bei Zeitschriften resp. 35 Prozentpunkte bei den Zeitungen. Gemünzt auf die Bevölkerung könnte man also sagen, die Profis unterschätzen die Printnutzung um ca. 2.6 Mio. Nutzerinnen und Nutzer. Beim Radio um ca. 1.7 Mio. Nutzerinnen und Nutzer (25 Prozentpunkte) und beim TV noch um ca. 1.1 Mio (17 Prozentpunkte).
Grafik 1: Nutzung und Schätzung – klassische Medien
Nutzeranteile in %
Das umgekehrte Bild zeigt sich bei den neueren Medien (Grafik 2). Möglicherweise ist es Ihnen bei Ihrer Schätzung oben genauso ergangen, aber die Ad People in der Studie überschätzten die allgemeine Nutzung von Social Media in praktisch allen Fällen. Bei TikTok sind es 19 Prozentpunkte (ca. 1 Mio. Nutzerinnen und Nutzer), bei Instagram 15 Prozentpunkte (1 Mio.) und bei LinkedIn 9 Prozentpunkte (ca. 600 000). Besonders auffällig hier: Ad People schätzen nicht nur die allgemeine Nutzung von Facebook und Co. zu hoch ein, sondern nutzen diese Angebote auch deutlich stärker als die Bevölkerung.
Grafik 2: Nutzung und Schätzung – Social Media
Nutzeranteile in %
Diese Resultate führen unweigerlich zu folgender Erkenntnis: Durch eine unterschiedliche Mediennutzung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung kommen Ad People zu einer verzerrten Schätzung der allgemeinen Mediennutzung. Unser CMO, Guido Trevisan, sagt dazu im Interview mit Persönlich.com:
Guido Trevisan, CMO Goldbach Group AGWer als Marketingexpertin und -experte auf das Bauchgefühl setzt, liegt in den allermeisten Fällen daneben.
Nun könnte man sagen: "Was solls, liegen die Profis mit ihrer Einschätzung halt mal etwas daneben". Könnte, sollte man aber nicht. Denn diese "falsche" Einschätzung führt möglicherweise zu ungünstigen Entscheiden in der Mediaplanung. Und genau das ist der Grund, weshalb wir diese Studie durchgeführt haben. Die Resultate unterstreichen nämlich einmal mehr, dass es sich lohnt, Mediennutzungsforschung zu betreiben und die Daten für Marketingentscheide beizuziehen.
Zur Studie
- Durchgeführt von Goldbach Media und der IGEM in Kooperation mit der WEMF
- Befragt wurde die Mediennutzung von Marketing- und Medienprofis sowie deren Einschätzung des Mediennutzungsverhaltens der Schweizer Bevölkerung
- Total 657 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Deutsch- und Westschweiz
- Abgefragte Medien (Auszug): Print, Radio, TV, Internet, Fernseh-, Video-, Musikstreamingdienste, Social Media, Messengerdienste, Videokonferenz-Tools, Smartwatch, Smart Speaker
- Für den Vergleich mit der tatsächlichen Nutzung der abgefragten elektronischen Medien dient der IGEM-Digimonitor 2021. Für Print stammen die Daten aus der MA Strategy 2020.
- Befragungszeitraum: August/September 2021
- Methode: Online-Umfrage (CAWI)