16.12.2019
Interview von Diversity in der Tech-Branche

«Man muss die Gesellschaft dazu bewegen, ihre Komfortzone zu verlassen»

Miriam Thome ist seit Juli 2019 bei der Advertising-Technologieplattform Xandr als Director Marketplace Management tätig und leitet das Marketplace Team für Zentraleuropa. Zuvor war sie sieben Jahre lang beim globalen Adtech-Unternehmen Rubicon Project beschäftigt. Im Gespräch mit Goldbach erörtert die deutsche Managerin, die ursprünglich Luft- und Raumfahrttechnik studiert hat und schon an vielen Orten zu Hause war, warum es oftmals mit der (Gender) Diversity in Tech-Unternehmen nicht klappt und was wir in Zukunft anstreben sollten.

Frau Thome, Sie haben am diesjährigen Tag der Online-Werbung über Diversity in der Technologiebranche gesprochen. Als junge Frau mit leitender Funktion in der AdTech-Branche sind Sie sicherlich auch schon persönlich mit dem Thema Diversity in Berührung gekommen. Können Sie uns als Einstieg eine Anekdote zum Thema erzählen?

Meine persönlichen Erfahrungen bezüglich Diversity waren bisher eigentlich hauptsächlich positiv. Wenn man als Frau Luft- und Raumfahrttechnik studiert, gehört man definitiv zu den ungewöhnlicheren Studenten. Dies wurde mir jedoch erst richtig bewusst, als mir mein Professor zum Diplom gratulierte und meinte, es wäre toll, wieder mal eine Frau als Absolventin zu haben. Das hatte mich damals sehr gefreut und mir gleichzeitig die Situation von Frauen in technischen Berufen wieder ins Bewusstsein gerufen.

Von allen Seiten werden die Vorzüge von vielfältigen Teams thematisiert, also die positiven Effekte von Diversity auf Faktoren wie Rentabilität, Kreativität oder Risikobewältigung. Doch die Realität sieht in vielen Unternehmen anders aus. Woran hapert es Ihrer Meinung nach?

Ich denke es gibt verschiedene Gründe dafür, dass es mit der Umsetzung dauert. Generell ist dieses Thema erst in den letzten Jahren in den gesellschaftlichen Fokus gerückt. Daher braucht es Zeit bis es mehr Bemühungen gibt, Änderungen hervorzurufen. Hinzu kommt, dass momentan noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Trotz der offensichtlichen Vorteile, muss sich etwas an der Einstellung ändern, vor allem in den Führungsetagen. Man muss das Thema proaktiv angehen, statt zu erwarten, dass sich Dinge von alleine ändern. Und speziell zum Thema Geschlechtervielfalt muss sich auch in der Gesellschaft noch viel ändern. Momentan geht es in der Debatte oft nur darum, ob die Mutter in Teilzeit arbeiten geht oder beide Elternteile in Vollzeit beschäftigt bleiben. Die Option, dass der Vater in Teilzeit geht und so die Karriere der Frau voll unterstützt, wird oft nicht in Erwägung gezogen.

Es muss sich etwas an der Einstellung ändern, vor allem in den Führungsetagen.

Müsste Ihrer Meinung nach jedes Unternehmen einen Diversity Manager einstellen?

Bei grossen Unternehmen macht es sicherlich Sinn, eine Stelle speziell für diese Rolle zu schaffen. Ich denke jedoch, dass Diversity mit den richtigen Massnahmen und Bemühungen aus allen Teams heraus sichergestellt werden kann, auch ohne einen speziellen Manager.

Würden allenfalls politische Vorgaben weiterhelfen?

Dies ist natürlich nur meine persönliche Ansicht, aber meine Antwort ist ganz klar: Ja. Lange Zeit war ich der Meinung, dass sich dieser Wandel von alleine aus der Gesellschaft heraus vollziehen würde. Mittlerweile bin ich mir da nicht mehr sicher und denke ein paar politische Vorgaben würden schon Sinn machen. Beispielsweise hat eine Initiative in Deutschland, wo es darum geht, einen bestimmten Frauenanteil in den Aufsichtsrat von börsennotierten Unternehmen zu bringen, bereits eine positive Veränderung hervorgerufen.

Wenn wir uns also im Speziellen die Gender Diversity anschauen: Fängt das Problem nicht schon viel früher an, also bei der Wahl von Studium und Ausbildung? Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich denke, dass gesellschaftliche Veränderungen immer bei der (Aus-)Bildung anfangen. Man muss so früh wie möglich versuchen, alteingesessene Rollenbilder aufzubrechen. Hier geht es nicht nur darum, Mädchen beizubringen, dass sie z.B. auch einen technischen Beruf angehen können. Es geht auch darum, den Jungs zu vermitteln, dass es nichts Ungewöhnliches ist, wenn sie z.B. Pfleger oder Kindergärtner werden wollen. Je früher man solche Klischees aufbricht, desto besser. Und dies gilt nicht nur für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Vielmehr sollte allen Kindern den Zugang zu Bildung gleichermassen ermöglicht werden, um damit eine gesellschaftliche Geleichberechtigung für Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Hintergründen erreichen zu können.

Es geht auch darum, den Jungs zu vermitteln, dass es nichts Ungewöhnliches ist, wenn sie z.B. Pfleger oder Kindergärtner werden wollen.

Interessanterweise findet man in Ländern mit eher patriarchalen Gesellschaftsstrukturen wie z.B. in Indien oder im Mittleren Osten mehr Frauen im Tech-Bereich als in Westeuropa. Gemäss Zahlen des indischen IT-Branchenverbandes Nasscom beispielsweise, machen Frauen rund 34% der Beschäftigten im IT-Sektor aus, Tendenz steigend. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Wenn man sich diese Zahlen etwas genauer ansieht, stellt man fest, dass diese Frauen vielfach eigene Unternehmen gründen oder in von Frauen geführten Unternehmen arbeiten. Die Tatsache, dass die IT-Branche flexible Arbeitsstrukturen wie z.B. Home Office bietet, ermöglicht Frauen trotz einer sehr konservativen Gesellschaft selbstständig zu arbeiten. Eigentlich zeigt dieser Trend sehr schön, dass es weniger vom Geschlecht als von den Möglichkeiten und der Förderung abhängig ist, was einen Menschen interessiert und worauf er bzw. sie sich fokussieren will. Und generell denke ich, ist die IT-Branche nahezu ideal, um Veränderung zu schaffen. Denn in dieser Branche werden die Aufträge und die grossen Deals nicht mehr bei Golf und Zigarren vergeben.

Zu guter Letzt ein Ausblick in die Zukunft: Was denken Sie, werden sich unsere Kinder und Enkelkinder auch noch mit demselben „Problem“ auseinandersetzen müssen?

Diversity wird generell noch sehr lange ein Thema sein. Der Mensch ist an sich darauf fokussiert, sich mit Bekanntem zu umgeben. Man muss die Gesellschaft dazu bewegen, ihre Komfortzone zu verlassen und das ist schwierig. Die Diskussion endet ja nicht damit, dass man die Hälfte der Führungspositionen mit Frauen besetzt. An sich sehe ich aber eine positive Entwicklung und freue mich, dass sich immer mehr Unternehmen mit Diversity beschäftigen. Das „Problem“ wird aber nicht verschwinden, sondern sich entwickeln. Vielleicht in eine andere Richtung und mit einem anderen Fokus.

Besten Dank für das Gespräch.