"Die Abnabelung fühlte sich befreiend an"

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War es ein Kulturschock, als er zu Goldbach kam? Welche Folgen hatte der Abzug der Vermarktung von Tamedia und 20 Minuten? Und wie schwer war es für ihn, als Mitarbeitende wegen der Neuaufstellung die Firma verlassen mussten?

Im Interview mit der Redaktion von persönlich spricht Christoph Marty, CEO Goldbach, offen über Herausforderungen – und über Chancen: den steigenden Werbeumsatz mit Replay Ads, die Stärken des Schweizer Werbemarkts im Bereich CTV sowie die erfreuliche Entwicklung von Swiss Ad Impact.

Das Gespräch führte Christian Beck, Redaktor persönlich. Hier geht es zum Originalartikel auf persönlich.com.

 

Christoph Marty, Sie haben eine eindrückliche Körpergrösse. Hilft Ihnen das im Alltag, um den Überblick zu behalten?

Ich glaube schon. Es ist keine schlechte Voraussetzung, um den Überblick zu behalten. Auf der anderen Seite kann man sich nicht so gut verstecken – das gehört auch dazu. Und mit zunehmendem Alter erinnert es mich daran, den Rücken gerade zu halten. Eine gewisse Grösse und ein Rückgrat sollte man behalten.

Sie meinen das auch im übertragenen Sinn?

Natürlich (schmunzelt).

Ich habe gehört, dass die Abläufe innerhalb der Goldbach Group manchmal etwas kompliziert sind …

Solange es nur intern spürbar ist, ist es noch okay. Wenn es für die Kundinnen und Kunden spürbar wird, dann finde ich es nicht akzeptabel. Wir sind daran, diese zu vielen Schnittstellen zu bereinigen.

Sie sind seit Juli 2024 CEO der Goldbach Group, zuvor waren Sie CEO von Goldbach Neo, das aus der Zusammenführung von Neo Advertising und Clear Channel Schweiz entstanden ist. Wie gross war der Kulturschock?

Kulturschock ist das falsche Wort. Ich hatte von aussen – früher als Konkurrent – ein anderes Bild von Goldbach als jetzt von innen. Es war kein Schock, einfach eine andere Kultur.

Goldbach durchlebt gerade eine grosse Transformation: Dezentralisierung, neue Business Units, KMU-Setup. Können Sie «die neue Goldbach» kurz zusammenfassen?

Die neue Goldbach ist ein Teil der alten, aber unabhängiger – von Prozessen, Systemen und auch von der TX Group. Mit Out of Home in unserem Portfolio sind wir nochmals anders und zukunftsfähig aufgestellt.

Die Vermarktung von Tamedia und 20 Minuten ging zurück in die Unternehmen. Welche Auswirkungen hatte diese Abnabelung?

Für den Markt ist die Situation 2025 wieder sehr ähnlich wie bis 2019. Für die Mitarbeitenden bei Goldbach bedeutet es weniger Schnittstellen. Ich glaube, die Abnabelung war für beide Seiten gewollt und sinnvoll. Für uns fühlte sie sich befreiend an – auch wenn das ein grosses Wort ist.

Die Initiative kam also nicht nur von Tamedia und 20 Minuten?

Nein, auch von unserer Seite. Schon in den ersten Gesprächen rund um meine Nachfolge von Michi Frank war das Thema. Für mich war klar: Die Vermarktung von 20 Minuten und Tamedia passt nicht zu Goldbach. Sie hat uns in der Entwicklung eher gebremst.

Warum?

Weil Goldbach traditionell nicht nah am Content ist. Die Vermarktung von Tamedia und 20 Minuten dagegen ist sehr nah am Content. Das führte zu Hürden. Dazu kommt die Unabhängigkeit für unsere Partner – sei es RTL, ProSieben oder in der Radiovermarktung. Heute stehen wir klar besser und mit einem klareren Profil da als vor zwei Jahren.

Eine Abnabelung bedeutet meist auch einen Stellenabbau …

Im Zuge der Neuaufstellung wurden gut 100 Mitarbeitende von Goldbach zu Tamedia verschoben. Rund 15 haben uns verlassen, weil 20 Minuten die Vermarktung und Technologie komplett neu aufgebaut hat. Insgesamt mussten wir in der Schweiz etwa 35 Stellen abbauen – auch im sogenannten Overhead. Glücklicherweise konnte ein Teil des Abbaus durch Nichtbesetzung von offenen Vakanzen erfolgen.

Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?

Solche Entscheidungen fallen nie leicht. Am stärksten betroffen waren die Bereiche Technologie und Marketing. Ich war teilweise bei den Gesprächen mit Führungspersonen dabei. Jeder, der sagt, es sei ihm egal, lügt. Aber es war erklärbar: Das Ergebnis von Goldbach war nicht befriedigend, wir mussten unsere Kostenbasis verkleinern. Heute sind wir rund 500 Mitarbeitende in der Schweiz.

Connected TV – also ein Fernseher mit Internetverbindung – gilt als Wachstumsfeld. Warum wird es für die Schweizer Werbelandschaft so wichtig?

Die Schweiz befindet sich in einer besonderen und vorteilhaften Position. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern erfolgt die TV-Verbreitung hier fast ausschliesslich über die Netzbetreiber wie Swisscom und Sunrise – nicht terrestrisch oder über Satellit. Das ermöglicht uns, ein eigenes, lokales Ökosystem aufzubauen und Werbung im Bewegtbild digital aus der Schweiz heraus anzubieten. Wir sind dadurch unabhängiger von globalen Technologieunternehmen wie Samsung oder LG, die ihre eigenen Werbeplattformen haben. Die hohe Verbreitung von Set-Top-Boxen und die Beliebtheit des zeitversetzten Fernsehens sorgen für stabile und relevante Reichweiten. Diese Basis ermöglicht es uns, neben den traditionellen Werbespots auch neue, innovative digitale Formate wie Digital Ad Insertion und Replay Ads anzubieten.

Seit Kurzem unterstützt auch die SRG Replay Ads. Hat das Einfluss auf Goldbach? Die SRG wird ja von Admeira vermarktet.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, wie stark uns das betrifft. Ich glaube, es führt zu einer dynamischeren Marktentwicklung. Replay Ads entwickeln sich für uns auch ohne die SRG sehr erfreulich: Das Geschäft hat sich im ersten Halbjahr verdoppelt, nächstes Jahr erwarten wir nochmals eine Verdoppelung. Mit der SRG kommt nochmals ein Reichweitengewinn hinzu – und wir sind in der Lage, diese zusätzliche Reichweite zu messen und nachzuweisen. Das hilft dem gesamten TV-Markt, der zusammen mit der SRG nochmals den Werbeumsatz bei den Replay Ads verdoppeln wird.

Eine Verdoppelung auf tiefem Niveau, wie ich das Gefühl habe.

Wenn man es mit den paar hundert Millionen Franken im TV vergleicht, ist es ein tiefes Niveau. Aber wir reden von einem zweistelligen Millionenbetrag. Also definitiv relevant – und ganz sicher nicht homöopathisch (lacht).

Swiss Ad Impact ist eine Goldbach-Erfindung. Wie hat sich das Produkt etabliert?

Sehr gut. Es ist eine feste Grösse geworden. Rund 100 Mal wurde das Produkt gebucht, von einigen Kunden mehrfach. Swiss Ad Impact sorgt für Transparenz – und führt auch zu spannenden Diskussionen, etwa im Vergleich zu internationalen Plattformen, wo niemand so genau weiss, wie die Messung funktioniert. Für uns ist es ein cooles Produkt und eine coole Erfindung, die vom Markt gut angenommen wird.

Einer Ihrer Mitbewerber, die APG, feierte kürzlich ihr 150-Jahr-Jubiläum und unterstützte eine Ausstellung am Zürichsee. Waren Sie dort?

Nein, ich habe es leider verpasst. Aber grundsätzlich sehe ich APG weniger als Konkurrenz, sondern eher als Partner. Wir haben mehr gemeinsame Interessen für Out of Home, als dass wir uns gegenseitig Marktanteile wegnehmen.

Meinen Sie damit auch die drohenden Plakatverbote in diversen Städten?

Ja. Das belastet und beschäftigt uns stark. Auch wenn es noch Jahre dauert, bis etwas umgesetzt würde – die politische Arbeit und das Lobbying beanspruchen viel Zeit. Wir haben Unterschriften gesammelt und Aktionen wie zuerichsollleuchten.com unterstützt, um Sichtbarkeit für das Medium Plakat zu schaffen. Die ganze Branche findet die Verbote unsinnig. Aber es ist schwierig, grosse Kunden dafür zu gewinnen, das auch öffentlich zu sagen. Das ärgert mich.

Wie hat sich der Schweizer Werbemarkt in den letzten zwölf Monaten entwickelt?

Die Volatilität hat stark zugenommen. Planbarkeit geht zurück, kurzfristige Entscheide nehmen zu. Was man früher sicher wusste, wie ein Jahreszyklus von Werbeausgaben verläuft, ist heute Makulatur.

Das heisst, die Goldbach Group ist eigentlich ein guter Gradmesser für die Schweizer Wirtschaft …

Ja, wir sind ein guter Indikator dafür, wie es der Wirtschaft geht. Werbeausgaben sind meist das Erste, was gekürzt wird, wenn es schlechter läuft.

Es wurden viele gute Firmenresultate kommuniziert, aber bisher war es kein berauschendes Werbejahr. Wie passt das zusammen?

Das zeigt, dass Werbung gezielter und taktischer eingesetzt wird. Die ganz grossen, flächendeckenden Imagekampagnen gibt es kaum noch – eine Ausnahme war die Jubiläumskampagne der Migros.

Social Media macht Brandingkampagnen schwieriger. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja. Die Informationsflut ist enorm, die Aufmerksamkeitsspannen sind kurz. Um eine Marke wirklich aufzubauen, reicht Social Media nicht. Dafür braucht es andere Kanäle mit mehr Reichweite.

Wohin geht die Reise der Goldbach Group?

Wir wollen die Transformation abschliessen, Goldbach Neo näher zur Goldbach Group bringen und die digitalen Kanäle weiterentwickeln. Mittelfristig wollen wir ein konsistentes digitales Angebot mit wirkungsvollen Kommunikationslösungen schaffen, das für die Werbetreibenden Reichweite über verschiedene Gattungen hinweg bietet. Und dies auf einem starken linearen oder analogen Fundament.

Goldbach gibt es seit 1983. Was bleibt, was verändert sich?

Das Prinzip der Vermarktung bleibt. Mit Out of Home kam eine logische Ergänzung dazu. Wir konzentrieren uns heute stärker auf unsere Kernkompetenzen, statt Synergien über alle Mediengattungen hinweg erzwingen zu wollen. Zudem haben wir einen «Best-of-Breed-Ansatz» in der Technologie und entwickeln weniger selbst.

Wenn Sie in drei Jahren auf dieses Interview zurückblicken – was soll bis dann erreicht sein?

Ich wünsche mir ein starkes digitales Angebot mit einheitlichen Kennzahlen und Messungen, einkaufbar im CPM-Modus. Gleichzeitig sollen Radio, TV und Out of Home analog weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Radio erlebt ein Revival. Und lineares TV erreicht in der Schweiz heute mehr Menschen als noch vor zehn Jahren – auch wenn der Marktanteil rückläufig ist. Diese Kombination von starken Medieninventaren linear und digital ist unsere Stärke, mit der wir unsere Kunden nachhaltig unterstützen.