21.04.2023
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IDOOH: "Wir sind immer noch die Neuen auf der Party"

Nach gut eineinhalb Jahren zieht die Führungsspitze des Digital-Out-of-Home-Verbandes IDOOH eine Bilanz, die sich sehen lassen kann: enorme Reichweiten, interessierte Werbekunden, erfahrene Neu-Mitglieder. Im Interview mit HORIZONT schildern Geschäftsführer Frank Goldberg, Frank Möbius (Goldbach), Andreas Prasse (WallDecaux) und Alexander Stotz (Ströer), wo es jetzt noch Handlungsbedarf gibt.

Meine Herren, im Februar haben Sie den ersten Geburtstag des IDOOH gefeiert. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Ist die Verbandsarbeit so langweilig, wie es immer alle sagen?
 

Frank Goldberg: Ich weiß durch meine Tätigkeit für das Digital Media Institute ja wirklich sehr gut, wie langwierig und anstrengend diese Arbeit zum Teil sein kann. Umso mehr freue ich mich, wie extrem konstruktiv wir im IDOOH seit seiner Gründung Anfang 2022 arbeiten. Wir haben gerade die erste übergreifende Studie für Digital Out-of-Home veröffentlicht, die demnächst in allen Planungstools zur Verfügung stehen wird. Das in dieser doch eher kurzen Zeit geschafft zu haben, macht mich stolz.

Frank Möbius: Die Gründung des IDOOH war wegweisend, denn wir verfolgen alle dieselben Interessen: Wir möchten unsere Gattung stärken und nach vorne bringen. Die Zahlen, die wir im Februar veröffentlicht haben, zeigen, dass das bereits funktioniert: DOOH erreicht über 1,1 Milliarden Bruttokontakte in der Bevölkerung ab 14 Jahren, das entspricht einer Netto-Reichweite von 81 Prozent! Zahlen wie diese sind in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr, wie Sie wissen.

Welches Feedback haben Sie auf Ihre erste Reichweitenstudie bekommen?

Goldberg: So viel Arbeitserfahrung mit der Studie haben die Agenturen noch nicht, wir stellen sie gerade erst in mehreren Roadshows vor. Sie ist aber keine komplette Neuerfindung, sondern setzt auf derselben Methodik der P&PS des DMI sowie der Public-Video-Studie von Ströer auf.

Möbius: Grundsätzlich ist das erste Feedback sehr positiv, weil wir die vermarkterübergreifende Planung ermöglichen und mehr Transparenz und Vergleichbarkeit in den Markt bringen. Uns geht es auch vor allem darum, die Rolle von DOOH als Reichweitengarant zu kommunizieren.

Alexander Stotz: Und das klappt aktuell auch ziemlich gut. DOOH stemmt sich gegen den Trend und wächst gerade deutlich zweistellig, während andere Medien doch eher zu kämpfen haben.

Echte Power bekommt Ihre Studie erst, wenn sie von einem JIC (Joint Industry Committee) herausgegeben wird. Wie weit sind die Gespräche mit der Agma?

Goldberg: Das Interesse, zusammenzuarbeiten, ist auf beiden Seiten groß. DOOH soll so schnell wie möglich als Mediengattung in der Agma etabliert werden. Bis es so weit ist, tauschen wir uns regelmäßig über den Stand der methodischen Entwicklung aus. So wollen wir bis zum Herbst so weit sein, in der Studie noch viel feinere, granularere Werte auszuweisen.

Ist das Buchungsverhalten aufseiten der Kunden schon so granular, dass wirklich nur ein einzelner Screen angesteuert wird? Oder geht es in der Praxis nicht vor allem um die große Reichweite?

Stotz: Hier zeigt sich gerade ein ganz unterschiedliches Bild. Die Echtzeit-Möglichkeiten unseres Mediums werden definitiv immer mehr genutzt, auch für ganz neue Anlässe wie beispielsweise die ESG-Markenkommunikation. 2021 hat Miele beim EM-Spiel gegen Ungarn drei Stunden lang unsere Screens am Weg zum Stadion bespielt und so auf die LGBTQ-feindliche Haltung Ungarns und das Verbot, die Allianz-Arena in Regenbogenfarben anzustrahlen, hingewiesen. Werbungtreibende denken also nicht mehr nur in klassischen Produktkampagnen, sondern können in Echtzeit zielgerichtet auf tagespolitische Themen eingehen, um Haltung zu zeigen.

Andreas Prasse: Letztlich geht es darum, das Beste aus beiden Welten – OOH und Online – zusammenzuführen. Reichweite können wir, jetzt kommen die Targeting-Möglichkeiten dazu, die immer stärker nachgefragt werden. Diese Entwicklung hat uns gerade während der Pandemie in die Hände gespielt, weil wir die langen Vorlaufzeiten von früher nicht mehr haben. Diese Vereinfachung macht sich auch international bemerkbar: Früher hatten wir komplexe Buchungssysteme, die in 16 Ländern anders waren. Jetzt gibt es mit VIOOH als internationale, offene SSP nur noch eine einzige Plattform.

Was braucht es jetzt noch, um der Gattung zu mehr Wachstum zu verhelfen?

Prasse: Wir müssen all diese Vorteile und neuen Möglichkeiten, die wir als Vermarkter kennen, noch viel stärker kommunizieren. Es braucht Wirkungsnachweise und Cases wie den, den Alexander gerade beschrieben hat. Ein Zusammenschluss wie das IDOOH hilft hier ungemein. Wir sind immer noch die Neuen auf der Party! Wir müssen uns neu vorstellen und die Möglichkeiten von DOOH erklären. Wir können jede Kampagne, egal, ob TV, Online, Radio oder Print, auf die Straße verlängern. Wir können in jedem Mediamix die strukturellen Schwächen anderer Medien ausgleichen, wenn nicht überkompensieren. Am Ende des Tages müsste jede Mixkampagne DOOH berücksichtigen – das muss unser Ziel sein.
Stotz: DOOH ist, dank der immensen Investitionen der letzten Jahre, allein durch die Anzahl der Screens und deren Reichweite, längst vom Ergänzungs- zum klassischen Massenmedium geworden. Dazu kommt das Thema Nachhaltigkeit, bei dem die gute alte Außenwerbung in der digitalen Welt auf einmal richtig punkten kann, weil DOOH mit Abstand das CO₂-effizienteste Medium ist. CO₂ einzusparen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch nicht vor dem klassischen Media-Mix halt macht. Wir werden in Zukunft immer mehr Budgetverschiebungen zugunsten effizienterer Medien erleben.
Möbius: Die vielen neuen, "grünen" Flächen bringen uns schon jetzt spürbar neue Kunden, die bislang noch nicht digitale Außenwerbung gebucht haben. Stelen mit integriertem Moos-Filter, die die Luftqualität verbessern, oder Screens auf Ladesäulen für E-Mobilität kommen bei Kunden gut an. Man merkt deutlich, dass das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile eine große Rolle bei Werbungtreibenden spielt. Aber auch bei dem Thema gilt: Aufklärung und Kommunikation sind wichtiger denn je.
Stotz: Neben den einzelnen Highlights geht es aber vor allem um die grundlegenden Veränderungen durch die Digitalisierung: Screens, die zu 100 Prozent mit grünem Strom versorgt werden. Botschaften, die nahezu beliebig oft ausgetauscht werden können, während früher immer wieder neue Plakate gedruckt und geklebt werden mussten. Solche Dinge. Die Digitalisierung hat uns, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, einfach einen riesigen Schritt nach vorne gebracht.

Dennoch steht Außenwerbung oft unter Rechtfertigungsdruck: zu hell, zu viel, zu sichtbar. Welche Argumente helfen?

Stotz: In allen Gesprächen, die wir aktuell zu dem Thema führen, wird schnell klar, was unser Medium heute leistet. Neben der Werbung liefern wir einen in der jetzigen Gesellschaft nicht zu unterschätzenden Beitrag zu einer barrierefreien Kommunikation, die alle erreicht und nicht in irgendeiner Bubble untergeht. Für Kommunen sind wir mittlerweile das, was früher das Amtsblatt oder die lokale Tageszeitung war. Diese Argumente kommen auch bei der Politik an. Es geht längst nicht mehr nur um Werbung. Unsere Medien sind mittlerweile durch die Digitalisierung systemrelevant. So wurden zu Beginn der Corona-Pandemie viele Krisenstäbe an unsere Screen-Netzwerke angeschlossen. Behörden greifen heute direkt auf unsere Screens zu mit dem Ziel der Information, Aufklärung oder Warnung.
Prasse: Wir stellen uns hier ganz bewusst der gesellschaftlichen Diskussion. Unsere Aufgabe ist es, speziell den Mehrwert von DOOH zu kommunizieren. Denn per se sind wir natürlich zu Beginn jeder Debatte eine Zielscheibe, das haben wir auch bei der Energiesparverordnung gemerkt. Warum? Weil wir das sichtbarste Medium sind und alle erreichen. Eigentlich nicht schlecht, oder? Aber wir müssen Transparenz schaffen und unsere Argumente in die Öffentlichkeit tragen. Wie erst vor Kurzem im Interview mit Ihnen gesagt: Wer nach rein nachhaltigen Gesichtspunkten planen würde, müsste DOOH einen Anteil von über 50 Prozent im Mediaplan einräumen.
Stotz: Interessant ist auch, dass die diversen „Werbefrei“-Initiativen selbst OOH nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren. In Hamburg etwa wurde wild plakatiert, um auf die Initiative, die Plakate abschaffen will, hinzuweisen. Widersinnig, oder?
Prasse: Ihr hättet den Auftrag, hätte es einen gegeben, aber doch bestimmt angenommen, oder Alex? (lacht)
Stotz: Natürlich. Vermutlich unrabattiert. (lacht)
 
Wenden wir uns noch der anderen Seite der Branche zu: Wissen die Agenturen und Werbekunden schon über alle Möglichkeiten Bescheid, die speziell Programmatic DOOH bietet?

Goldberg: Die OOH-Spezialagenturen haben schon vor Jahren damit begonnen, massiv in das Thema zu investieren und Know-how aufzubauen. Jetzt kommen die ganzen Digitalagenturen dazu, die das Thema Programmatic sowieso schon seit Jahren beherrschen. Wie beides zusammen, also Programmatic DOOH, im Detail funktioniert, das hat aber in der Tat noch nicht jeder verstanden. Hier müssen wir noch einiges erklären – dafür ist das IDOOH da. 
Möbius: Wir beobachten hier auf jeden Fall eine Entwicklung hin zu mehr Verständnis. Treiber ist die Automatisierung des Geschäfts. Agenturen und Kunden bewegen sich definitiv in die richtige Richtung und nutzen das Medium auf breiter Basis auch für individuelle Botschaften. Mehr als die Hälfte unserer Kampagnen sind bereits programmatisch.
Prasse: Aber wir haben eben auch noch die restlichen 50 Prozent vor uns. Wir erleben in unseren Workshops oft nach wie vor ein großes Staunen darüber, was wirklich schon alles mit DOOH möglich ist. Deshalb ist Aufklärung einfach so wichtig, sowohl auf der Kundenseite als auch bei den Media-, Digital- und Kreativagenturen. Der Markt differenziert sich, aber wir erschließen gleichzeitig völlig neue Umsatzquellen, die früher, als wir uns ausschließlich auf unsere Spezialagenturen verlassen haben, einfach nicht da waren. Vor uns liegt ein riesiges Wachstumspotenzial. Wenn wir die berühmten 10 Prozent erreichen wollen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt.
Möbius: Das stimmt. Die Kampagnen werden zwar zunehmend programmatisch abgewickelt, aber dahinter stecken immer noch Menschen, die diskutieren und verschiedene Bedürfnisse erklären. Diese unterschiedlichen Ansprüche müssen von uns als Vermarkter gematcht werden. Technologie kann ein gutes Hilfsmittel sein, aber sie wird natürlich nur dann richtig genutzt, wenn dahinter Menschen stehen, die sie verstehen.
 
Sehen Sie die Gefahr, dass DOOH im programmatischen Ökosystem ein Qualitätsproblem bekommen könnte?

Goldberg: Nein, weil wir anders als die Online-Medien keinen Longtail haben. Unsere Werbeflächen sind durch den verfügbaren Platz mit limitierter Anzahl begrenzt. Das heißt, so einen Werbeträger aufzubauen, ist richtig teuer. Das lohnt sich nur, wenn er auch ein Minimum an Umsatz generiert, und das erfordert wiederum eine entsprechende Frequenz. Unsere Inventarmenge ist also nicht beliebig vermehrbar. Wir werden in der Außenwerbung immer eine gesunde Mischung aus großen und kleinen Anbietern haben, die Nische neben der Masse, aber wir werden es niemals mit einem derart unüberschaubaren Ökosystem zu tun bekommen wie in der Online-Welt. Gleichzeitig sitzen rein digitale Player wie One Tech Group, Hivestack, Softwareanbieter wie Grassfish und MGGM bereits in unseren Arbeitsgruppen und Expertenkommissionen. Je mehr das Thema wächst, desto mehr Zulauf bekommen wir.
Stotz: Das genau zeigt die Stärke des IDOOH. In seiner Struktur können sich alle Anbieter einbringen.

Gilt das irgendwann auch für den Fachverband Aussenwerbung (FAW)? 

Goldberg: Wir arbeiten mit dem FAW schon seit unserer Gründung eng zusammen. Die Trennung, die häufig gesehen wird, kommt nicht daher, dass wir unterschiedliche Interessen verfolgen, sondern dass DOOH eine fokussierte Aufmerksamkeit braucht. Wir sehen uns als Bestandteil einer gemeinsamen OOH-Branche und wollen mit einer Stimme sprechen.
Stotz: Mit der Gründung des IDOOH hatten wir die Chance, das Thema DOOH erst mal auszulagern und als eine Art Schnellboot weiterzuentwickeln. Es gibt keine zwei Welten. Aber unsere Gattung befindet sich in einem Transformationsprozess, in dem der FAW künftig auch noch eine tragendere Rolle im IDOOH bekommen wird.

Wenn wir uns in einem Jahr wieder unterhalten, wo wird DOOH dann stehen? 

Möbius: Wir werden definitiv mehr Umsetzungen von programmatischen Kampagnen sehen, die die übergreifenden Möglichkeiten unseres Mediums aufzeigen.
Prasse: Wir werden feststellen, dass DOOH in einem schrumpfenden Markt zu den Gewinnern zählt. Es wird zudem einen breiteren Konsens über die Nachhaltigkeit und Wertigkeit unserer Gattung geben.
Goldberg: Das sehe ich alles genauso. Wir werden nicht aufhören, zu sagen, dass DOOH in jeder Hinsicht ein gutes Medium ist, mit dem wir Brücken schlagen und für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen können. Programmatic Advertising wird weiter wachsen und locker einen Anteil von 50 bis 60 Prozent am Gesamtmarkt erreichen. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt auf unser Gespräch.